Stories : Das Treffen
 
  Das Treffen  
 
 
  Parkplätze sind knapp, aber einen gibt's noch. Eingeparkt, ausgestiegen, Kleidung kontrolliert, kurz durch die Haare gefahren und ab zum Eingang.
Stimmen schallen bis zur Strasse, wohl schon was los, prima.
Erstmal der Mutter aller Treffen "Hallo" gesagt, sie herzlich umarmt, dann für's Buffet bezahlt.

Na, wer ist schon da, Blick schweift umher, alles bekannte Gesichter, einige Namen sind schon vorhanden, der Rest wird noch kommen. Schön, die Schwester ist da und sitzt an der Bar, das erste Ziel... Unterwegs zu ihr fallen noch ein paar "Hallo" und "schön, dass du hier bist". Die erste Liebe wird an's Herz gedrückt, hat sich kaum verändert, was für ein herrlich tiefes Lachen und diese leicht rauchige Stimme...
Smalltalk ist angesagt.
Das Auge bemerkt noch jemanden, schaut hin und schweift wieder ab, bleibt unerkannt, Glück oder Pech?
Erstmal was Essen, die Schwester eingehakt und ab zum Buffet. Sie findet einen letzten Sitzplatz an 'nem Tisch. OK, an der Theke ist noch Platz und was zum Trinken wird eh gebraucht.

Der Notar setzt sich neben Homo Faber, nettes Geplauder setzt ein. Haare sind verloren, aber der Humor ist wie früher, besser so als umgekehrt.
Auf 'nem Barhocker breitet sich der Obersterilisator aus und hält Hof mit 'nem Zigeuner im Mundwinkel, beweist das Quantität doch gleich Qualität ist.

Langsam tauchen aus alten Zeiten die jungen Gesichter wieder auf, verschmelzen mit den Heutigen, an Gestik wird jeder erkannt.
Hat was... Fremde, die durch Gesten zu Freunden werden...

In der Ecke sitzen die Erzieher, ergraut über die Jahre, plaudernd, einige der früheren Zöglinge um sich scharend.

Mal ein wenig weiter schauen, auf Erkundung gehen. Die erste Freundin kommt entgegen, "Geht's gut?". Auf jeden Fall 'ne Freude für die Augen, aber der Zauber ist Vergangenheit.

Der King ist auch da, setzt sich zu seinem Schlagzeuger, Jimi's Frisur ist verschwunden - schade eigentlich.
Es füllt sich immer noch, kurz mit dem JoJo-Zahnarzt geplaudert, später mehr? Mal sehen.
Zu Hübbi, dem Otter, gewunken und dem Nagytier samt Bruder Hallo gesagt. Die Politikerin umarmt - der Job schlaucht, aber die Frisur sitzt -, mit dem Oberputzer geblödelt, der Abend kann beginnen...

Der Notar hält 'ne Rede, liest aus 'ner Zeitung vor, kurzer Artikel über'n Klassentreffen - wie er nur darauf kam?
Der Beamer wird klar gemacht - wo ist das Kabel?
Es gibt Bilder aus der guten, alten Zeit, Gelächter setzt ein und hält an - oh Mann, das warst mal du?
Namen der Nichtanwesenden tauchen auf, längst vergessen und doch bekannt.
Nun weiss man, wer fehlt - nur die Hälfte hat's hierher geschafft. Schade, zwei der ehemals besten Freunde kommen nicht.

Unverfängliches Geplauder, häufigste Frage wie auf 'nem Kongress der Witzeerzähler - Kennst du den noch?
Die wirklich unbekannt Gebliebenen gehören zur Bedienung.

Unser Keeper überragt alle, ein Mann wie ein Baum, jetzt Gärtner. Wusste gar nicht, dass doch noch Ents auf der Erde wandeln.
An der Bar der Freund und Helfer, nimmt den Beruf Ernst, Freude kommt dabei aber nicht wirklich auf, Homo Faber empfindet Respekt und will auf gar keinen Fall tauschen.
Mit Grappus noch'n Rechnerknecht gefunden.

Und Zeitreisen sind doch möglich.

Zweite Runde zum Buffet, wird aber im Keim erstickt.
Eva - ohne Apfel und ohne Schlange, dafür mit Rotwein - taucht auf, unterdrückt den Drang nach Essen unverzüglich und problemlos ("...bist du net die Kloane, die i scho als Bub gern ghabt hab?..."), nach einigen herrlichen Minuten rettet Grappus den Homo Faber ("...i konnt nächtelang net schlafn..."), Ablenkung tat Not ("...komm wir streichn 15 Jahr...").

Die Schwester taucht wieder auf, den Obersteri im Gepäck. Man stellt gleiche Berufsfelder fest, Sterilisation ist schon ein interessantes Thema, aber 'ne Vasektomie reicht dem Homo Faber.
Wieder auf in's Gewühl.

Der Banker hat 'nen anderen Nachnamen - egal - honoriger geworden, Berufe prägen?
Das DRK ist auch vertreten - manch einer wird älter, andere größer...
Der Sozialarbeiter mit Guitarre ist noch immer 'n Kumpel, einfach gut.

Schon witzig, Zeit vergeht über Unterhaltung und viel Cola. Man tauscht Handy-Nummern und eMail-Adressen - arme gelbe Post -, ein Gästebuch geht 'rum.

Erste verlassen mit dem Tag auch den Ort, die Erzieher an vorderster Front.

Veränderung, die Musik wird heavy und es macht Ramm-Bamm, das hätten die ehrwürdigen Boxen wohl nicht geglaubt, dass sie das noch können.

Eine Party entsteht.
Ganz normales Verhalten, Mädels zuerst, Männlichkeit ziert sich noch. Aber unsere Mutter praktiziert Damenwahl und das erfolgreich. Quer durch die 70er, von "Mamma Mia" bis "Er gehört zu mir" wird nichts ausgelassen - bis auf die Stimmung. Es gibt sogar "Oldies" - Stones, Beatles, Elvis, etc. -, ab auf die Tanzfläche. An den Grenzen von Nutbush City fallen die letzten Zweifel und es wird ungehemmt geschwofft, sogar die Tanzschritte sind wie früher. Nach Jive, Rock'n Roll und Popwalzer ist das Hemd gut durch, der Atem kurz, ab vor die Tür und abgedampft...

Blues läuft, Eva im Arm, Blickkontakt ("...wenn du mich so anschaust, ist mir alles andere egal...total egal").
Doch nicht Eva, sondern Helena? Für Blicke wie diese, haben Griechen Troja erobert! Eine humanistische Bildung verhilft zu Einsichten, der Dank gebührt Deutsch-Müller.
Wieder nach draussen, ab- küh- len...

Der King kennt auch Tai Chi, sieh an, Homo Faber und er können aber Grappus nicht überzeugen.
Nein, arrogant war der King nie, introvertiert vielleicht, aber nur für die, die ihn nicht kannten.

Musikwechsel, bei Gammastrahlen und Lokomotivenatem werden Körper verbogen, nur das Matteschütteln klappt nicht mehr mangels Masse. Doors, Peter Gabriel, später noch unbekannte Flugobjekte und schwarzer Sabbath, des Nagys Bruder hält die Leute in Atem, guter Job, nur die Boxen jammern und der Verstärker clippt.

Nächster Wechsel, mit dem Sozialarbeiter in den Strassen von London über den Boxer gesungen, wie damals in der Mülltonne, schön.

Zwischendurch wollte der Notar unbemerkt entkommen, Homo Faber freut sich, ihn noch erwischt zu haben - C U, ganz bestimmt.

Obersteri, Oberputzer und Mitgeschäftsführer sorgen immer wieder für saubere Stimmung, sind einfach durch nichts zu ersetzen, werden unterstützt von unserer Mutter mit Zigarillo, nicht rauchend - paffend und nur für den Geschmack.

Die Gruppe wird kleiner, der harte Kern kristallisiert.
Dank Alkohol flachen die Gespräche ab und werden tiefschürfend.
Weisheiten werden gefunden und wieder verloren.
Alte Wunden fangen an zu schmerzen und können geschlossen werden?
Auch Tränen fliessen und werden zärtlich weggewischt.
Hat man sich verändert oder hat das nur die Welt getan?
Müssen wir uns verbessern oder brauchen wir das gar nicht mehr und können wir das überhaupt?
Haben wir einzelne unterschätzt, vielleicht alle und jeden oder keinen? Schwer zu sagen.
Nein, Homo Faber hält Babsi nicht für bieder und brav, auch früher nicht, ganz im Gegenteil... Heute kann man darüber ja sprechen... Da hatte Homo Faber andere Probleme mit fehlenden Ski-Reisen, Selbstbewusstsein und Gruppenverhalten ("Es ist nicht leicht, ein Clown zu sein...").

Man versichert sich der gegenseitigen Wertschätzung und wundert sich immer wieder, warum man nicht viel häufiger zusammen kommt.
Die Politikerin muss weg, hat 'ne Verabredung mit 'nem rosa Karnevalsclub, der Schwimmer muss zum Schwimmstadion.

Die Tanzfläche leert sich, vereinzelte Paare drehen noch ihre Runden. Selbst Walzer und langsame Musik ändern kaum was, es werden Gespräche geführt, blos das Jahrgangspaar macht mal 'ne Ausnahme.

Auch die Schwester geht - bedauerlich, können Männer und Frauen eigentlich einfach nur Freunde sein?

Der Himmel hellt auf, der Morgen graut, Taxis werden gerufen.
Die Nacht verzieht sich, vertrieben vom Tage, nimmt mit sich die letzten Träume ("Wet dreams are made of this... who am I to disagree?").

Man verteilt sich auf Autos, Homo Faber spielt Chauffeur aus Tradition, die Herrschaften setzen sich nach hinten. Kurzer Umweg, den Würfler los geworden, Bussi zum Abschied mit Grüßen an die Familie - auch Tradition, Grmpf.

Letzte Fragen bleiben...
Wie kann nur der Zauber dieser Treffen sich über Jahrzehnte erhalten?
Und...
Kam der Gatte pünktlich mit den noch warmen Brötchen?

Wir werden es in 5 Jahren erfahren - spätestens - aber dann ganz sicher...
 
 
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